Stiftsruine Bad Hersfeld
Wer in den hohen Mauern der Bad Hersfelder Stiftsruine steht, kann ermessen, wie faszinierend der zum Himmel strebende Kirchenbau auf die Pilger:innen des Mittelalters gewirkt haben muss. Die größte romanische Kirchenruine nördlich der Alpen ist heute besonders als Spielstätte der Bad Hersfelder Festspiele bekannt.
Geschichte
Jährlich zwischen Juli und September pilgern Theaterbegeisterte zur Stiftsruine Bad Hersfeld, wo sie zwischen den ehrwürdigen Mauern der ehemaligen Klosterkirche ein atmosphärisch einmaliger Kulturgenuss erwartet. Seit 1951 locken die Bad Hersfelder Festspiele, Schauspielerinnen und Schauspieler sowie Gäste von Rang und Namen an. Doch ein populäres Ziel war der mächtige Bau schon vor knapp 1000 Jahren: Damals kamen Pilgernde nach Hersfeld, um an den - heute verschollenen - Reliquien von Wigbert und Lullus zu beten. Beide Namen sind eng mit den Anfängen von Bad Hersfeld verbunden: Lullus, Erzbischof von Mainz, gründete hier, wo der irische Missionar Bonifatius bereits eine Einsiedelei errichtet hatte, 769 eine Benediktinerabtei. Diese übertrug er dem direkten Schutz des fränkischen Königs und späteren Kaisers Karl des Großen und machte sie durch die Reliquien des angeblich wunderwirkenden Wigbert, einem Freund Bonifatius‘, zu einem hochrangigen Missionszentrum.
Das Kreuz in der Sprache der Architektur
Dem ersten Kirchenbau folgten drei weitere, jeder den vorangehenden an Größe übertreffend. Der letzte von ihnen, zu seiner Zeit eine der größten Kirchen nördlich der Alpen, entstand ab 1038 unter Abt Meginher. Damals entwickelte sich gerade der Baustil der Romanik, gekennzeichnet durch schlichte, aber dennoch gegliederte Fassaden mit halbkreisförmigen Bögen für Fenster, Türen und Mauerwerksöffnungen. Der Grundriss von Langhaus, Querschiff und Chor übertrug das christliche Kreuz in die Sprache der Architektur. Das Langhaus hatte die Gestalt einer dreischiffigen Säulenbasilika - eine Bauform, bei der die Seitenschiffe niedriger sind als das Mittelschiff. Beherrscht wurde der Bau vom Südturm, ein Nordturm hingegen wurde nie vollendet. Auch wenn vom Mittelschiff heute nur noch einige der Säulenbasen übrig sind, ist die mächtige, zum Himmel strebende Architektur des 11. Jahrhunderts heute noch authentisch erlebbar.
Brand im Siebenjährigen Krieg
Nachdem die Stiftskirche 1525 als katholisches Kirchenhaus aufgegeben wurde, bestand sie ohne wesentliche Veränderungen noch bis in den Siebenjährigen Krieg (1756-1763) hinein. Die Auseinandersetzung zwischen Preußen und Großbritannien/Kurhannover auf der einen und der Habsburgermonarchie, Frankreich und Russland auf der anderen Seite fand auch in Hessen statt. In Hersfeld zündeten französische Truppen ihre in der Stiftskirche gelagerten Vorräte beim Anrücken der preußisch-hessischen Gegner an. Der Brand griff auf den Bau über und beschädigte ihn stark. Jahrzehntelang diente die Ruine als Steinbruch und wurde erst ab dem 19. Jahrhundert denkmalpflegerisch instandgehalten.
Katharinenturm und Lullusglocke
Auf dem Gelände der Stiftsruine steht als einziger Rest des ehemaligen Klosters der Katharinenturm. In ihm hängt die berühmte, im Jahr 1038 gegossene Lullusglocke, die an den oben erwähnten Mainzer Erzbischof erinnert. Sie ist die älteste datierte Glocke Deutschlands, die zudem durchgängig in Betrieb ist und heute an den kirchlichen Hochfesten, zum Jahreswechsel sowie an Lullus‘ Todestag, dem 16. Oktober, läutet.