Kulturdenkmäler profitieren vom Zusammenwirken vieler Expert:innen der Denkmalpflege und Bauinstandsetzung
Würde der Schriftsteller Mark Twain (1835-1910) heute einen Blick auf Schloss Hirschhorn werfen, er müsste nicht mehr klagen: Der letzte Hirschhorner sei seit zweihundert Jahren tot „und es gibt niemanden mehr, der Wert darauf legt, die Andenken der Familie zu erhalten“. Schloss Hirschhorn sehe von weit flussabwärts am besten aus, so Twain nach seiner Europareise im Jahr 1887. Inzwischen ist das spätmittelalterlich-renaissancezeitliche Kulturerbe wieder in ein Schmuckstück verwandelt worden – vor allem auch für die Betrachtung aus der Nähe.
Beim 2. Hessischen Burgensymposium am 1./2. April 2022 wurde erstmals in allen Einzelheiten die 2018 begonnene, fast abgeschlossene denkmalgerechte Grundinstandsetzung der Spornburg über dem Neckar im Süden Hessens präsentiert. Sie war Schwerpunkt der Konferenz, die vor Ort und als Livestream mit rund 100 Teilnehmenden über die Bühne ging. Die Deutsche Burgenvereinigung e.V. (DBV) und die Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen (SG) veranstalteten die Tagung gemeinsam unter dem Titel „Geschichtspunkte. Neue Erkenntnisse aus hessischen Kulturdenkmälern“. Das Format hatte Andreas Fuchs, der Vorsitzende der hessischen DBV-Landesvertretung, vor zwei Jahren in Kooperation mit der SG begründet. Er sorgt auch für die kurzfristige Drucklegung der Tagungsbeiträge
Schloss Hirschhorn wird voraussichtlich noch bis zum Jahresende vom Landesbetrieb Bau und Immobilien Hessen und von der Schlösserverwaltung mit vielen beteiligten Fachfirmen denkmalgerecht instandgesetzt. Für die Wiederherstellung des Palas’ und eines Kapellenbaus der Kernburg, des jüngeren Hatzfeldbaus mit seiner Architekturmalerei, der nördlichen Zwingermauern, des nordöstlichen Turmes und Teilen der angrenzenden Stadtmauern galt der Grundsatz, historischen Bestand weitestgehend herauszuarbeiten und nachhaltig zu bewahren.
Dies geschah „unter Wahrung der größtmöglichen Authentizität hinsichtlich Material, Konstruktion, Verarbeitung und Gestaltung“, erläuterte Dr. Anja Dötsch, Leiterin der Abteilung für Bauangelegenheiten und Denkmalpflege bei der SG. Die Aufgabe war herausfordernd: Schloss Hirschhorn habe über die Zeiten durch Verfall, einen Teilabbruch und viele unsachgemäße Eingriffe vor allem durch den Einbau eines Hotels im 20. Jahrhundert gravierende Schäden und Verluste seiner ursprünglichen Bausubstanz davongetragen.
Ziel der Instandsetzung war, neben der Infrastruktur historische Grundrisse zurückzugewinnen und originale Oberflächen freizulegen, so Dötsch. Jetzt sei vieles der Baugeschichte des Bergschlosses wieder zu Tage getreten, das vermutlich im 13. Jahrhundert gegründet und baulich weiterentwickelt wurde, bis es im 17. Jahrhundert die größte Ausdehnung erreichte. Besondere Anziehungspunkte bilden der spätmittelalterliche Palas und der Kapellenbau, an denen nun frühe oder sogar alle Bauphasen Hirschhorns abzulesen sind.
In beiden Gebäudeteilen wurden zeittypische Architekturen und kostbare Wandmalereien hervorgeholt und fragmentarisch sichtbar gemacht. Eine neue Ausstellung der SG-Bauabteilung für künftige Besuchende des Wehr- und Repräsentationsbaus unterstreicht mit Erläuterungen und wertvollen Fundstücken diese Rekonstruktionen. Sie wird zugänglich sein, wenn für den Hotel- und Gastronomiebetrieb auf Schloss Hirschhorn in 2023 ein:e neue:r Pächter:in gefunden wurde.
Weitere Erkenntnisse zu Schloss Hirschhorn stellten der Bauforscher und Mittelalterarchäologe Matthias Klefenz und der Historiker Dr. Jens Friedhoff, Mitarbeiter des Europäischen Burgeninstitutes, vor. Klefenz unterstuchte die Siedlungs- und Wirtschaftsgeschichte des Odenwälder Raumes und stellte fest, dass das mit Johann von Hirschhorn einsetzende Geschlecht und der Besitz des Hanges am Stöckberg in Hirschhorn wahrscheinlich aus Lehnsverhältnissen mit dem Kloster Lorsch hervorging. Friedhoff präsentierte – basierend auf aktuellen Archivrecherchen – eine wechselvolle Nutzungs- und Baugeschichte Hirschhorns im 19. Jahrhundert. Er fand, dass die Anlage in Bezug auf Aus- und Umbauten im Vergleich mit anderen Burgen der Region „relativ glimpflich davonkam“.
Dr. Katarina Papajanni, ebenfalls Baudenkmalpflegerin bei der SG, schilderte die kunst- und architekturhistorisch bedeutsame Rettung und Bergung zerschlagener Bauteile und Skulpturen, die in der Wand eines Brunnens auf dem Areal des Klosters Lorsch verbaut worden waren. Sie gehörten einst zur prächtigen Ausstattung der nur als Rest erhaltenen St. Nazariusbasilika im heutigen UNESCO Welterbe. Der Brunnen sollte eigentlich mit Kies verfüllt werden. Jetzt sind die kostbaren Werkstücke in der Ausstellung „Geschichte schöpfen – Quellen aus einem Brunnen“ zu sehen. Darunter ist ein neues von weltweit nur 20 erhaltenen Exemplaren des Skulpturentypus „Atzmann“.
Die Fortschritte bei der umfänglichen Instandsetzung einer anderen Liegenschaft der SG, des erstmals 1191 urkundlich erwähnten Prämonstratenserinnen-Klosters Konradsdorf mit Propstei und Kirche, trug der Bauforscher Achim Wendt zusammen. Die Gebäude zählen zu den schönsten Bauten der Romanik in der Wetterau „mit exquisiter romanischer Bauplastik“. Trotz vorhergehender gründlicher Erforschung sei auf der Baustelle immer noch Neues aufgespürt worden: Das Nonnenhaus habe womöglich eine andere Zuwegung gehabt und anstelle einer Vorgängerburg auf dem Gelände vermute man ein „Memorialhaus“, dessen Reste später in der Kirche verbaut wurden.
Einen Einblick in archäologische Funde der 1382 feindlich zerstörten Burg Bommersheim im Taunus gewährte Dr. Reinhard Friedrich, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der DBV. Er führte das Publikum zurück zu zwei Ausgrabungskampagnen in 1993 und 2007, die in zwei Schichten unter den Bauresten vonstattengingen. Zu den Schätzen aus genau bestimmbarem Hausinventar zählt ein in das frühe 13. Jahrhundert zu datierender honigfarbener, mit eingeschliffenem Dekor geschmückter „Hedwigsbecher“. Eine solche Kostbarkeit aus Glas, die aus Gebieten des östlichen Mittelmeeres stammt, sei sonst eher in Kirchenschätzen anzutreffen.
Prof. Dr. Stefan Breitling von der Universität Bamberg und Mitglied im Vorstand der DBV erläuterte den Nutzen der Digitalisierung in der Bauforschung für nachhaltige, im vernetzten Wissensraum nutzbaren und weiter zu entwickelnden Datenmodellen für die Denkmalpflege. Wie viele seiner Vorredner:innen betonte er, wie wichtig die Kooperation von Fachleuten der unterschiedlichsten Disziplinen und der auf Kulturerbe spezialisierten Fachfirmen sei, um der Geschichte von Bauwerken auf die Spur zu kommen und sie zu rekonstruieren. Ziel sei es, „die Gegenwart der Vergangenheit“ mit gemeinschaftlich erarbeiteten mehrschichtigen Daten deutlich zu machen und die digitale Präsenz etwa von Burganlagen „nicht google und Wikipedia“ zu überlassen.
Nils Wetter, wie Papajanni Mitarbeiter der Baudenkmalpflege der SG, stellte Grundzüge seiner Dissertation über die Baugeschichte der barocken Friedrichsburg, heute bekannt als Schloss Bad Homburg, vor. Sie entstand von 1679 an auf nur wenigen Resten einer Vorgängerburg im Vordertaunus und diente als repräsentative Residenz des Geschlechts der Hessen-Homburger. Der Bauforscher Lorenz Frank stützte in seinem Vortrag die These, dass die von Carl Florian Götz errichtete Mosburg im Schlosspark Biebrich in Wiesbaden nicht als „Ruine“ und als bloße Baustaffage zu betrachten sei. Die neugotische Ritterburg diente vielmehr „zu Wohnzwecken“ des Bauherren, des späteren Herzogs Friedrich August von Nassau-Usingen, und sollte zudem eine Sammlung mittelalterlicher Altertümer wie Epitaphien zur Schau stellen.