Interdisziplinäre Tagung nimmt Architektur des 12. Jahrhunderts in Hessen in den Blick
Die Tagung „Architektur des 12. Jahrhunderts in Hessen“ in der Aula der Philipps-Universität Marburg eröffnete neue Erkenntnisse und Perspektiven aus den Disziplinen Kunstgeschichte, Bauforschung und Denkmalpflege auf das bauliche Erbe dieser Zeit. Bekannte und weniger bekannte Bauwerke der Romanik wurden hinsichtlich aktueller Forschungsfragen betrachtet und teilweise neu kontextualisiert. Die Veranstaltung fand am Freitag, den 17. November 2023, statt als Kooperation des Kunstgeschichtlichen Instituts der Philipps-Universität Marburg, des Landesamts für Denkmalpflege in Hessen (LfD) sowie der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen (SG).
„Dabei ist das Interesse nicht nur auf die Bauten selbst gerichtet, sondern auch auf die heutigen Zugänge dazu“, wie Prof. Dr. Jörg Stabenow von der Philipps-Universität zu Beginn in Aussicht stellte. Dr. Verena Jakobi vom LfD ergänzte: „Die Vergangenheit gibt uns Aufschluss über den heutigen Umgang mit unserem baulichen Erbe, weshalb die Auseinandersetzung damit von großer Bedeutung ist.“
So widmete sich das Tagungsprogramm unter anderem Kloster Konradsdorf, dem Dom in Fritzlar, der Burgruine Münzenberg, der Kaiserpfalz Gelnhausen und dem Alsbacher Schloss, die unter stil- und forschungskritischen Gesichtspunkten betrachtet wurden. Fragen der Datierung wurden ebenso erörtert wie frühere Gestalt und Funktion der Bauwerke, wobei Bezüge zwischen diesen deutlich wurden.
Herausragende Beispiele der Architektur des 12. Jahrhunderts in Hessen
Dr. Katarina Papajanni vom Fachgebiet Bauangelegenheiten und Denkmalpflege der SG skizzierte in ihrer Einführung wichtige Entwicklungen der Denkmalpflege in Hessen, wo sich einige herausragende Beispiele der Architektur des 12. Jahrhunderts erhalten haben, und schilderte unter anderem die jüngsten Restaurierungsmaßnahmen in der Kaiserpfalz Gelnhausen.
Mit Kloster Konradsdorf schloss sich ein weiteres Beispiel stauferzeitlicher Architektur an. Dr. Anja Dötsch, Leiterin des Fachgebietes Bauangelegenheiten und Denkmalpflege bei der SG, gab Einblicke in die 2016 begonnenen Instandsetzungsarbeiten und die damit gewonnenen Erkenntnisse, die seit Juni 2023 in einer Ausstellung vor Ort präsentiert werden. „Die 1200jährige wechselvolle Geschichte des Klosters wurde nach und nach freigelegt“, beschrieb Anja Dötsch die Maßnahmen. „Die Bauforschung bildete dabei die unverzichtbare Grundlage für das denkmalpflegerische Konzept.“ Denn während zur einstigen Klosterkirche bereits einschlägige Forschungsliteratur vorlag, war die Propstei zu Beginn der Maßnahme noch weitestgehend unerforscht. Anja Dötsch präsentierte dem Publikum der Tagung neue Einsichten zur Funktion und Bedeutung des Gebäudes: So wurde nicht nur das romanische Portal wiederentdeckt, sondern auch ein Kellergeschoss sowie die Grundmauern eines älteren Vorgängerbaus. Diese und weitere Erkenntnisse erschließen sich den Besucher:innen in der Ausstellung.
"Das zugrunde liegende Prinzip bei der Instandsetzung von Kloster Konradsdorf und der Konzeption der Ausstellung war die Bewahrung und Präsentation aller Zeitschichten mit Herausstellung der klösterzeitlichen Befunde."
Dr. Anja Dötsch
Plädoyer für Grundlagenforschung
Bei anderen Bauten dieser Zeit arbeiteten die Referent:innen noch weiteren Bedarf zur Grundlagenforschung heraus. So stellte Viktoria Imhof die Frage nach der gemeinsamen Nutzung von Stiftsgebäuden durch Doppelkonvente, wie es sie etwa in Ilbenstadt, Schiffenberg oder auch Konradsdorf gegeben hatte, und gelangte zu der These, dass häufig keine so strikte räumliche Trennung herrschte wie in der Forschung oft vermutet. Achim Wendt hingegen zeigte strittige Punkte in der Baugeschichte der Burgruinen Wildenberg und Münzenberg auf, mit deren Erforschung er aktuell befasst ist, während Dr. Cornelius Hopp und Dr. Gerd Strickhausen sich unter anderem mit Fragen der Datierung beschäftigten. Sie sprachen sich dafür aus, hierfür nicht nur Schrift- und Bildquellen sowie historische Ereignisse heranzuziehen, sondern auch das Bauwerk selbst als Quelle zu betrachten, wobei Dendrochronologie und Stilkritik sich ergänzen sollten, wie Cornelius Hopp ausführte.
"Die Sekundärliteratur ist als weniger wichtig zu erachten als primäre Quellen, zu denen auch die Burg selbst zählt."
Dr. Gerd Strickhausen anhand des Beispiels von Schloss Alsfeld
So schlossen die Organisator:innen der Tagung Viktoria Imhof, Katarina Papajanni und Cornelius Hopp mit einem Plädoyer für die grundlegende Erforschung des baulichen Erbes in Hessen und sprachen sich dafür aus, Bauwerke neu zu betrachten, die bislang noch nicht – oder noch nicht unter Einbezug aller zur Verfügung stehenden Quellen und Methoden – untersucht wurden. Damit kann, so wurde deutlich gemacht, die bisherige Forschungsgeschichte stellenweise kritisch hinterfragt und die Geschichte von manchem Bauwerk neu geschrieben werden.
Eine Publikation der Tagungsbeiträge ist geplant.