Tagung "Das Kaiserreich vermitteln: Brüche und Kontinuitäten seit 1918"

Die Tagung ist für das Publikum als Zoom-Konferenz eingerichtet. Anmeldungen unter: kaiserreich-tagung@schloesser.hessen.de

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Tagung und online-Konferenz zum Kaiserreich (1871-1918) wollen der teils scharf geführten Auseinandersetzung über das Erbe des ersten deutschen Nationalstaates neue produktive Impulse geben. Zum 150. Jahrestag der Gründung des Kaiserreiches aktualisieren bedeutende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem In- und Ausland das Verständnis der Epoche und loten aus, wie die Öffentlichkeit heute damit umgeht.

Die Tagung findet am 21./22. Juni 2021 unter dem Titel „Das Kaiserreich vermitteln: Brüche und Kontinuitäten seit 1918“ im Schloss Bad Homburg statt, das einst eine Sommerresidenz der preußischen Könige und deutschen Kaiser war. Sie wird veranstaltet von den Staatlichen Schlössern und Gärten Hessen in Kooperation mit der Goethe-Universität Frankfurt und durch die großzügigen Zuschüsse der Kulturstiftung der Länder (Berlin) sowie der Hessischen Kulturstiftung (Wiesbaden) ermöglicht.

Aktuelle Tendenzen in der Wissenschaft mit Vermittlung zusammenbringen

Der Konferenzleiter, Prof. Dr. Torsten Riotte, strebt an, aktuelle Tendenzen in der Wissenschaft und die Vermittlung des Kaiserreiches miteinander abzugleichen und zu problematisieren. „In den vergangenen Jahren haben Historikerinnen und Historiker vor allem versucht, sehr detailreich die unterschiedlichen Facetten der Zeit vor 1918 herauszuarbeiten. Friedensbewegung, Tierschutzvereine, Globalisierung. Das alles gab es schon im 19. Jahrhundert. Doch in Ausstellungen, Schulbüchern und Gesamtdarstellungen findet sich zumeist der Blick auf die Politik und Verfassung des Kaiserreichs, das deutliche demokratische Defizite aufwies. Wie lassen sich die beiden Seiten der modernen Geschichte, die Kontinuität und der Bruch zur heutigen Gegenwart darstellen, angemessen bewerten und vermitteln?“

Staatssekretärin Ayse Asar: bedeutender Schauplatz der Geschichte

Nach den Worten der Staatssekretärin im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, Ayse Asar, ist ein offener Diskurs über das von vielen inneren Spannungen geprägte Kaiserreich wichtiger denn je. „Ich freue mich über diese Kooperation zwischen der Wissenschaft und einer Einrichtung, die gemäß ihrem Auftrag mit dem Kulturerbe des Kaiserreiches verantwortungsvoll und in gesellschaftlich relevanter Weise umzugehen hat. Der Tagungsort, das Schloss Bad Homburg unter der Obhut der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen, ist mit den Residenz-Appartements des letzten deutschen Kaiserpaares ein bedeutender Schauplatz der Geschichte. Er muss dem Publikum mit Sachkenntnis, guten Ideen und zielgruppenorientiert vermittelt werden.

Ein „Meilenstein“ für die Schlösserverwaltung

Für die Direktorin der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen ist die Tagung der Expertinnen und Experten ein „Meilenstein“ für die Schlösserverwaltung. Kirsten Worms weist darauf hin, dass die kaiserlichen Appartements „als authentisch erhaltener Ort deutschlandweit einzigartig sind“. Sie böten eine natürliche Anknüpfung für eine umfassende Auseinandersetzung mit der Epoche. „Gegenwärtig bereiten wir uns nach zehn Jahren der Schließung auf die Wiedereröffnung des baulich sanierten und restaurierten Königsflügels vor, in dem sich der Museumstrakt mit den Appartements befindet. Ich halte es für absolut notwendig, die neue öffentliche Präsentation zeitgemäß und didaktisch reflektiert anzugehen und unseren Gästen ein Bildungsangebot zu machen“, sagte Worms.

Drei Sektionen und ein provozierender Abendvortrag: warum noch über das Kaiserreich nachdenken?

Die Konferenz der Fachleute aus den Bereichen Geschichtswissenschaft, Kunstgeschichte und der politischen Bildung beginnt am 21. Juni um 13:30 Uhr und endet am Abend des Folgetages. Es ist in die Sektionen „Reformfähigkeit diskutieren“, „Wirtschaft, Gesellschaft, Lifestyle: Modernität problematisieren“ und „Das Kaiserreich didaktisch vermitteln“ untergliedert. Die Veranstaltung kann eine begrenzte Anzahl Interessierter nach vorheriger Anmeldung über Zoom verfolgen. Sofern die Inzidenzzahlen in der Corona-Pandemie es zulassen, lädt die Schlösserverwaltung Besucherinnen und Besucher zum Abendvortrag in die Schlosskirche ein: Prof. Dr. Christian Jansen (Universität Trier) gibt seine Sicht auf die Frage: „Nationalismus – Imperialismus – Obrigkeitsstaat.

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Blick in den Versammlungssaal der Kaiserlichen Appartements im Schloss Bad Homburg, um 1905 © HHStAW 476/6 Nr. 952

Fokus: neuer Blick auf Modernität und Schattenseiten des Kaiserreiches

Auf dem Programm der Tagung und online-Konferenz stehen Themen der neuesten Forschung sowie Vertiefungen anhand besonders einschlägiger Beispiele. An dieser Stelle nur eine Auswahl unter den Persönlichkeiten und ihrem jeweiligen Fokus: Prof. Dr. Lorenz Müller (University of St Andrews / Großbritannien) beschäftigt sich mit den Funktionen von Kaiser Wilhelm II. in Staat und Gesellschaft als „schillernde, problematische, kontroverse Figur“. Prof. Dr. Christoph Nonn (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) deutet das Deutsche Kaiserreich als ambivalent und als „doppelte Vorgeschichte von Demokratie und Diktatur“ aus.

Dr. Verena Steller (Goethe-Universität Frankfurt am Main) zeichnet anhand der Biografien von Juristinnen ein dynamisches Bild der Debatten um Recht und Geschlecht im Kaiserreich. Dr. Florentine Fritzen (Frankfurter Allgemeine Zeitung) diskutiert Veganismus als eine weit in die Gesellschaft hineinwirkende Reformbewegung. Prof. Dr. Markus Bernhardt (Universität Duisburg-Essen) erörtert das Kaiserreich als Lerngegenstand für Schüler und Schülerinnen mit seinen Problemen und Potentialen. Aus Sicht der Niederländer ergänzt Jakko Pekelder die didaktische Perspektive und den Umgang mit der Geschichte. Die Niederlande machten den Exilort des letzten Kaiserpaares, „Huis Doorn“, zur Gedenkstätte.

Förderer: Aufklärung über spannungsreiche, vielschichtige Kaiserzeit für ein dynamisches Geschichtsbewusstsein

Der Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder, Prof. Dr. Markus Hilgert, sagte zu der bevorstehenden Zusammenkunft: „In den vergangenen Monaten sind immer wieder das Kaiserreich und seine Symbole Gegenstand der politischen Auseinandersetzung gewesen. Es ist wichtig, dass wir uns gemeinsam damit auseinandersetzen, wofür sie stehen und wie dieses historische Erbe durch politische Institutionen und kulturelle Einrichtungen angemessen vermittelt werden kann. Die Tagung „Das Kaiserreich vermitteln …“ wird einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung über die Kaiserzeit und wichtige Impulse für die Geschichtsdidaktik und moderne pädagogische Formate liefern.“

Nach den Worten von Eva Claudia Scholtz, Geschäftsführerin der Hessischen Kulturstiftung sei das Kaiserreich aktuell durch zwei Debatten in das allgemeine Bewusstsein gerückt: „Die Vereinnahmung der Reichssymbole durch Nationalsozialisten und die Frage nach dem Umgang mit dem kolonialen Erbe. Veränderungen in der Rezeption historischer Ereignisse erzeugen Brüche oder konstruieren neu Kontinuitäten.“

„Ich freue mich umso mehr“, so Scholtz, „dass die Tagung im historischen Umfeld der Kaiserwohnung im Schloss Bad Homburg auch der Vermittlung von Forschungsergebnissen einen großen Stellenwert einräumt. Diese Arbeit wird vor allem in Museen, Schlössern und Archiven geleistet. Das gemeinsame Ziel von Wissenschaft, Museen, Archiven und Bibliotheken muss es sein, nicht nur die komplexe, spannungsreiche Vielschichtigkeit der Kaiserzeit erfahrbar zu machen, sondern immer auch die Dynamik unseres historischen Bewusstseins."

Es folgen eine Podiumsdiskussion und ein Tagungsband

Zusätzlich zur Tagung bietet die hessische Schlösserverwaltung am Vorabend der Königsflügel-Eröffnung, dem 31. August 2021, eine von Prof. Dr. Riotte moderierte Podiumsdiskussion an. Beteiligter ist unter anderen der Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Prof. Dr. Christoph Vogtherr. Im Frühjahr des Jahres 2022 folgt die Veröffentlichung der Beiträge der wissenschaftlichen Konferenz mit einem Tagungsband im Göttinger Wallstein Verlag.

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Pickelhaube mit Einschussloch © bpk / Museum Europäischer Kulturen, SMB / Ute Franz-Scarciglia