"Lorscher Bienensegen" im Fokus: Wissenschaftlicher Austausch über althochdeutsche Segen, Beschwörungen und Zaubersprüche
Der „Lorscher Bienensegen“ ist ein kurioser Segensspruch von wenigen Zeilen aus dem 10. Jahrhundert, einen davongeflogenen Bienenschwarm zurückzuholen. Mit „Sizi, sizi, bîna“ (Setz dich, sitze, Biene ...) verkündet er in der Tradition altgermanischer Zaubersprüche den Willen Christi und der Jungfrau Maria, er möge heimkommen und „godes uuillon“ (Gottes Willen) wirken. Der in rheinfränkischer Volkssprache verfasste Segen ist kopfüber eingetragen am unteren Rand einer Seite in einem Kodex der Karolingerzeit. Bei einem interdisziplinären Kolloquium wird er viel Aufmerksamkeit erhalten: Von Mittwoch, den 31. August, bis Freitag, den 2. September 2022 kommen vor allem Altgermanist:innen zu einem interdisziplinären Kolloquium mit dem Titel „Unheil bannen – Ordnung stiften“ im UNESCO Welterbe Kloster Lorsch zusammen.
Zwischen Religiosität, Magie und Medizin
Die Wissenschaftler:innen wollen sich über frühmittelalterliche Segen, Beschwörungen und magische Sprüche zwischen Religiosität, Magie und Medizin austauschen, die aus dem Althochdeutschen überliefert sind – einer Epoche der Sprachgeschichte von etwa 750 bis 1050. Diskutiert wird dabei besonders der „Lorscher Bienensegen“ von Folio 58r einer in Rom verwahrten Sammelhandschrift zur Gestaltung von Predigten (Signatur Pal. lat. 220), die im ehemaligen Reichskloster Lorsch im 9. Jahrhundert entstand und später um den Nachtrag ergänzt wurde. So spricht man unter anderem darüber, warum er als „Marginalie“ an einer Stelle unter die „Visio Sancti Pauli“ geschrieben wurde. Es ist eine apokryphe, nicht in der Bibel enthaltene Jenseitsvision, welche sich später als Fälschung erwies.
Krankes heilen, Wertvolles schützen, Gefahren abwehren
Nach den Worten der Organisatorin Prof. Dr. Tina Terrahe von der Universität Greifswald und ihres Kooperationspartners Dr. Hermann Schefers, Leiter der Welterbestätte, entstanden solche Sprüche mit dem Begehren, ein drohendes Unheil aufzuhalten oder zu besänftigen, wenn es schon eingetreten war: „Man möchte mit ihnen Krankes heilen, Wertvolles schützen und Gefahren abwehren.“ Es handele sich bei den Texten um „Kleinst-Epik“ und sie sei meist nur als Streuüberlieferung in Handschriften zu finden, in denen sie eigentlich keinen Platz gehabt habe. Diese Literatur versuchte, so Terrahe und Schefers, eine aus den Fugen geratene Ordnung wiederherzustellen.
Das Kolloquium steht auch Interessierten offen
Die Arbeitsrunden des Kolloquiums behandeln „Medizin und Heilkunde zwischen Antike und Frühmittelalter“, „Medizin, Religion und Magie“, „Glossographie zwischen Latein und Volkssprache“, „Praxeologie im Pal. lat. 220 (Lorscher Bienensegen)“, „Marginalität und Materialität“, „Magie, Heilung und Ritual“, „Segen und Wunder: heilige Magie?“ sowie „Zwischen Magie und Liturgie“. Rundgänge zum Welterbe Kloster Lorsch sowie dem daran angrenzenden Experimentalarchäologischen Freilichtlabor Lauresham mit dem 1:1-Modell eines frühmittelalterlichen Herrenhofes sind für die Teilnehmenden des Kolloquiums inbegriffen. Die dreitägige, kostenlose Veranstaltung im Museumszentrum Lorsch wurde großzügig von der Fritz Thyssen Stiftung gefördert und steht auch für Interessierte offen.