Fachtagung „Kosmos Schloss Erbach – Sammeln als fürstliche Passion“ betrachtet Schloss Erbach als Gesamtkunstwerk
Die interdisziplinäre Fachtagung „Kosmos Schloss Erbach – Sammeln als fürstliche Passion“, die am 10. und 11. Oktober 2023 in Erbach stattfand, brachte nicht nur neue Erkenntnisse zu den bedeutenden Gräflichen Sammlungen im Schloss, deren Objekten sowie Graf Franz I. zu Erbach-Erbach (1754-1823) zutage, der die Exponate im Wesentlichen zusammengetragen und erforscht hatte. Sie kontextualisierte das Sammlungsgeschehen auch und zeigte somit den besonderen Stellenwert dieses kulturellen Erbes auf, das sich in großen Teilen in den Originalräumen erhalten hat. Die Vorträge hochkarätiger Wissenschaftler:innen verschiedener Disziplinen wie auch von Expert:innen der SG leisteten einen wichtigen Beitrag zur Grundlagenforschung. Veranstaltet wurde die Tagung von den Staatlichen Schlössern und Gärten Hessen (SG) in Kooperation mit der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, dem Rudolstädter Arbeitskreis zur Residenzkultur e.V. und dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München.
„Ein Ziel ist es, neue wissenschaftliche Kooperationen aufzubauen und das Schloss Erbach einem breiteren Publikum zu vermitteln. Der bisher wenig bekannte Schatz soll gehoben und mehr im Kreis der bedeutenden historischen Residenzen verankert werden.“
SG-Direktorin Kirsten Worms
Dass Deutschland ein Land der Residenzstädte ist, wird laut Prof. Dr. Matthias Müller (Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Leiter der ersten Sektion „Graf Franz I. zu Erbach-Erbach: Impulse für eine süddeutsche Residenz in der Zeit um 1800“) häufig vergessen. Dabei erachtet er deren Aufarbeitung und Erforschung als „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, deren Erträge auch in der heutigen Zeit Orientierung schaffen können.
Graf Franz als Sammler und Vermittler
Nach einer Einführung von Dr. Anja Kalinowski (wissenschaftliche Leiterin der Gräflichen Sammlungen in Schloss Erbach) in die Biografie des Grafen Franz, der den vorhandenen Sammlungsbestand durch Neuankäufe und Grabungen erheblich erweiterte, diesen in Katalogen dokumentierte und sich damit nicht nur als Sammler, sondern auch als Kurator und Kulturvermittler verstand, erläuterte Marie-Christin Lieberum (wissenschaftliche Leiterin des Deutschen Elfenbeinmuseums in Schloss Erbach) die Neigung des Grafen zum Elfenbeinschnitzen. Das sogenannte Dilettieren – also die nicht-erwerbsmäßige intensive Beschäftigung mit einer Fertigkeit – war Teil der höfischen Erziehung und ging bei Franz so weit, dass er selbst eine Zunft in Erbach initiierte.
Diese einführenden Vorträge warfen – wie auch weitere Tagungsbeiträge – die Frage auf, ob und wie Franz sich selbst, seine Sammlungen und auch seine Familiengeschichte inszenierte. Der Frage nach Bezügen zur Vergangenheit wie auch nach dem Ahnenstolz gingen unter anderem Prof. Dr. Stefan Lehmann (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg), Dr. Anja Dötsch (Fachgebietsleiterin Bauangelegenheiten und Denkmalpflege, SG), Dr. Wolfgang Glüber (Hessisches Landesmuseum Darmstadt) und Dr. Hermann Schefers (Leiter der UNESCO-Welterbestätte Kloster Lorsch, SG) in ihren Beiträgen nach. Diskutiert wurde in der zweiten Sektion („Die Sammlungen als Mittelpunkt und Mittler fürstlicher Erinnerungskultur und Herrschaft“) unter der Leitung von Prof. Dr. Dirk Syndram (Dresden/Wien) und Dr. Paulus Rainer (Kunsthistorisches Museum Wien) unter anderem die Frage, ob die Bestrebungen des Grafen rein wissenschaftlicher, ästhetischer oder gar patriotischer Natur waren.
Schwerpunkte und Akzente der Sammlungen
Die drei Sammlungsschwerpunkte des Grafen betrafen die mittelalterlichen Waffen in dem eigens eingebauten neugotischen Rittersaal, die Geweihe und nicht zuletzt die Antiken als drei Sammlungsschwerpunkte heraus. Letztere betrachteten eingehend Dr. Volker Heenes (Universität Erfurt) hinsichtlich ihrer Symbolik sowie Dorothee Schulz-Pillgram (Fachgebiet Restaurierung, SG) hinsichtlich der aus heutiger Sicht eigenwilligen Restaurierungen durch den Hofkünstler Johann Wilhelm Wendt (1747-1815).
Darüber hinaus existierten im Schloss auch kleinere, doch exquisite Sammlungen an ethnografischen Objekten, ägyptischen Artefakten und ostasiatischen Porzellanen. Diesen widmeten sich Martin Schultz (Acequia Madre House Santa Fe), Dr. Judit Garzón Rodríguez (Johannes Gutenberg-Universität Mainz) und Dr. Daniel Suebsman (Museum für ostasiatische Kunst Köln) in ihren Vorträgen.
In der letzten Sektion („Dynastische Politik und Repräsentation in Ahnengalerien“) unter der Leitung von Dr. Renger de Bruin (Universität Utrecht) wurde deutlich, dass auch „die Bildnisse nicht nur als Kunstwerke dienten, sondern Beziehungen herstellten und historische Bedeutsamkeit konstruierten“, wie Dr. Almut Pollmer-Schmidt (Landesmuseum Württemberg) herausarbeitete. Dr. Katharina Bechler (Fachgebietsleiterin Museen bei der SG) ergänzte mit Blick auf die Oraniergalerie: „In Schloss Erbach dominiert die Repräsentation des Hauses Nassau als kriegerische Dynastie im Kampf gegen Spanien.“ Der Bestand in der Oraniergalerie wurde insbesondere durch Eberhard zu Erbach-Erbach (1818-1884), den Enkel von Graf Franz, erweitert und erforscht.
Ernsthafte Annäherungen an Geschichte
So leistete nicht nur Franz, sondern auch der bislang in der Forschung kaum beachtete Eberhard einen Beitrag dazu, den einzigartigen Sammlungsbestand in Schloss Erbach weiter zu ergänzen, zu dokumentieren und auch zu erhalten. Der Umstand, dass sich die Gräflichen Sammlungen in ihrer Vielfalt bis heute in den originalen, aufwendig gestalteten Schlossräumen bewahrt haben, ist einzigartig und wurde durch die hochkarätigen Fachbeiträge der Tagung in besonderer Weise gewürdigt. Wie Dr. Wolfgang Glüber in seiner Abhandlung über den Rittersaal resümierte, handelt es sich bei den Sammlungen „nicht nur um eine Ausstattung, sondern um ernsthafte Annäherungen an Geschichte“.