Sammlung Straka geht als Schenkung nach Lorsch

Von mittelalterlichen Handschriften geht eine große Faszination aus. Als einzigartige Zeugnisse verschriftlichten Wissens der Vergangenheit und der Buchkultur ist ihr kulturgeschichtlicher Rang nicht hoch genug zu bewerten. Kloster Lorsch besaß eine eigene, weithin bekannte Bibliothek, in der kulturgeschichtliche Schätze aus verschiedenen Skriptorien versammelt waren. Der ehemalige Bestand ist heute weit verstreut. Als virtuelle „Bibliotheca Laureshamensis“ an der Universität Heidelberg ist eine Reihe prachtvoller Codices wieder zugänglich.

Auf Faksimiles der Originale trifft man dagegen eher selten – sie sind in der Produktion und Anschaffung sehr teuer. Die Direktion der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen und die UNESCO Welterbestätte Kloster Lorsch freuen sich daher besonders, eine außerordentlich reiche und erstklassige Sammlung von hunderten Reproduktionen aus dem Erbe des Unternehmers Franz Josef Straka (1943-2020) zu erhalten. Sie ist am Freitag, dem 6. Mai 2022, von dessen Witwe, Ursula Straka, feierlich übereignet worden.

„Für diese großzügige Schenkung sind wir zu großem Dank verpflichtet. Wir werden das Erbe des leidenschaftlichen Sammlers Franz Josef Straka weiterpflegen, indem wir es inventarisieren, erweitern, öffentlich in Ausstellungen präsentieren und für die Vermittlungsarbeit des UNESCO Welterbes Kloster Lorsch heranziehen“, sagte Kirsten Worms, Direktorin der SG. „Durch die Übergabe in die öffentliche Hand kann die Begeisterung des Herrn Straka für dieses mittelalterliche Wissen an viele Menschen weitergegeben werden.“

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Jedes Geschenk aus dem Erbe von Franz Josef Straka ist eine Augenweide nicht nur für Mediävisten © Staatliche Schlösser und Gärten Hessen, Foto: Lena Liebau

Nach den Worten von Dr. Hermann Schefers, Leiter der Welterbestätte, hatte Straka seine kostbare Faksimile-Sammlung jahrzehntelang als Laie aufgebaut und eine Passion für die mittelalterlichen Codices entwickelt. Jedes Exemplar der aufwendig und in kleinen Stückzahlen reproduzierten Handschriften koste mindestens vier- bis fünfstellige Beträge. Straka habe seit 1999 Kontakt zur UNESCO Welterbestätte gehalten und sich entschieden, „dereinst seine Sammlung zu übereignen – als materielle Basis zu einem Quantensprung in der Vermittlung eines der zentralen Themen des Klosters: nämlich der Bedeutung von Schriftlichkeit für die Kulturen der Welt“, so Schefers.

Die bis zu 500 Facsimilia umfassende Hinterlassenschaft reicht von Einzelblättern bis zu dickleibigen Printrepliken. Sie enthält beispielsweise jüdische Buchrollen, lateinische, griechische und armenische Codices oder eine sogenannte Mixteken- Bilderhandschrift aztekischer Herkunft. Unter den Highlights ist eine der kleinsten Handschriften der Buchgeschichte überhaupt, das nur 37 x 31 Millimeter messende Manuale Sancti Ruperti aus dem 9. Jahrhundert. Zu den herausragenden Werken zählt auch die schwere westgotisch-mozaribische Bibel des Heiligen Isidor von Sevilla aus dem 10. Jahrhundert, die eine einzelne Person kaum anheben kann.

Wie wichtig die möglichst nahe an der Gesamterscheinung der Originale gearbeiteten Reproduktionen von Handschriften sind, macht sich am berühmten, reich illustrierten und in Goldtinte geschriebenen karolingischen Lorscher Evangeliar aus der Zeit Karls des Großen fest. Es ist in Teile zerlegt und wird von verschiedenen Institutionen in Europa verwahrt. Sie waren bislang nur ein einziges Mal zusammen ausgestellt. Für das Verständnis des Codex Aureus Laureshamensis ist es also unerlässlich, auf das Faksimile zurückzugreifen.

Die Sammlung, zu der noch rund 700 Fachbücher kommen, wird nach dem Wunsch Strakas im UNESCO Welterbe Kloster Lorsch als geschlossener Präsenzbestand im Museumszentrum der Stadt verwahrt. Er hinterließ sie in Anerkennung der in Lorsch geleisteten Vermittlungsarbeit vor allem der Themen Bibliothek, Schrift und Schreiben, Schreibstile (Skriptorium), Buchkunst, Miniatur, historische Buchbindetechnik und kunsttechnologischer Aspekte sowie zur Rezeption der Inhalte der Werke in Mittelalter und Neuzeit. Künftige Sammlungsleiterin ist die Museumpädagogin Patricia Scheuermann.

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Von links nach rechts: Dr. Hermann Schefers, Patricia Scheuermann, Ursula Straka, Kirsten Worms © Staatliche Schlösser und Gärten Hessen, Foto: Lena Liebau

Westgotisch-mozarabische Bibel des Heiligen Isidor von Sevilla

Diese Bibel ist aus mehreren Gründen ein Schmuckstück des Mittelalters und ein einzigartiges Werk. Sie wurde von Christen, die unter arabischer Herrschaft lebten, in einem Kloster geschaffen und ist eines der wenigen Schriftzeugnisse dieser Zeit, von welchem sowohl das Fertigstellungsdatum, der 19.6.960, der Entstehungsort, das Kloster San Pedro de Valeránica, Tordómar in Spanien, und auch die Namen des Kalligraphen (Sancho) und des Miniaturisten (Florencio) in einem Kolophon überliefert sind.

Der kalligraphisch hochwertige Text geht wohl auf einen älteren Text als die Vulgata des Heiligen Hieronymus zurück und ist mit lateinischen und arabischen Randbemerkungen versehen. Der Buchschmuck zeigt deutliche Einflüsse der insularen Buchmalerei (z.B. keltische Knoten). Die Miniaturen, welche in auffälligen Farben gemalt wurden, sind eine wichtige Quelle für die Lebensweise der Christen im Spanien des 10. Jahrhunderts. So kann man Gebäude wie Kirchen oder Paläste mit ihren Ausstattungen erkennen, ebenso wie Kleidung der Zivilbevölkerung oder des Militärs.

Lorscher Evangeliar

Die vermutlich am Hof Karls des Großen geschriebene Prachthandschrift erreichte wohl zu Beginn des 9. Jahrhunderts das Kloster Lorsch und wurde von da an in ihrer ausgezeichneten Bibliothek als besonderer Schatz gehütet. Schon der Einband – beide Buchdeckel bestehen aus Elfenbeintafeln – zeugt von hoher Kunstfertigkeit. Der Text ist fast vollständig mit Goldtinte geschrieben, die Textseiten alle mit den unterschiedlichsten
farbigen Rahmen geschmückt. Einige Miniaturen, darunter die Bilder der vier Evangelisten und die wohl bekannteste Miniatur der Maiestas domini auf Purpurgrund runden das Bild eines einzigartigen Werkes der Buchkunst des 9. Jahrhunderts ab.


Das Lorscher Evangeliar ist heute in vier Teilen über ganz Europa verstreut. Während der erste Teil des Evangeliars in der Biblioteca Documentarǎ Batthyáneum im rumänischen Alba Iulia liegt, verschlug es den zweiten Teil in die Biblioteca Apostolica Vaticana in Rom, zusammen mit der sogenannten Christustafel, also dem elfenbeinernen Hinterdeckel. Der Vorderdeckel mit der Marientafel befindet sich heute in London, im Victoria & Albert Museum.

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Das Büchlein unter den Faksimile: das Manuale Sancti Ruperti © Staatliche Schlösser und Gärten Hessen, Foto: Lena Liebau

Manuale Sancti Ruperti

Mit nur 37 x 31 mm Größe muss dieses winzige Buch des 9. Jahrhunderts das Werk eines sehr fähigen Skriptors gewesen sein. Er schaffte es, trotz des winziges Formates auf jede Seite dieses Psalters 18 Zeilen in karolingischer Minuskel unterzubringen. Der Buchschmuck zeugt ebenfalls von höchstem Können: Obwohl nur wenig Platz war, sind ein Bild König Davids, die für diese Zeit typische Beatus vir-Initiale und ein prachtvolles Incipit mit Goldtinte auf Purpurgrund geschrieben zu finden, ebenso Rubrizierungen und goldene Kapitalbuchstaben, ganz so, wie in den großen Psaltern dieser Zeit. Außergewöhnlich ist auch die Bindung, denn während die Buchdeckel wie gewohnt aus Holz sind, liegt der Rücken des Codex offen, so dass man Bünde und Heftnähte sehen kann.