Vortrag von Ralph Ziegler: Majestät als Komponist und Dirigent - Zum Einfluss des Hochadels auf das Musikleben in Rhein-Main zur Regierungszeit Kaiser Wilhelm II.

"Klingt" blaues Blut anders als rotes? In einem Vortrag in der Bad Homburger Schlosskirche ging Dr. Ralph Ziegler am vergangenen Dienstag den Fragen nach, ob Regenten andere Musik komponieren als Normalsterbliche und ob ernsthafte musikalische Tätigkeit neben dem Regieren überhaupt möglich sei? Die Protagonisten, die der Leiter des Amtes für Kultur- und Sportmanagement der Stadt Offenbach vorstellte, waren Alexander Friedrich Landgraf von Hessen (1863-1945), Ernst Ludwig Großherzog von Hessen und bei Rhein (1868- 1937) sowie Wilhelm II. (1859-1941), der letzte deutsche Kaiser.

Ziegler zufolge stellen neben einem künstlerischen Talent auch die günstigen Lebensumstände einen wesentlichen Faktor für das Gelingen dar, Musikstücke zu verfassen. Ein gewisser Wohlstand und Bildungsanspruch seien einer musikalischen Förderung durchaus zuträglich. Der Blick auf die drei Regenten offenbare aber auch, dass es Unterschiede in Intensität, Ernsthaftigkeit und Qualität der Kompositionen gebe. Mit Olaf Joksch-Weinandy zur Begleitung am Klavier konnte das Publikum dies selbst vergleichen.

Ernst Ludwig Großherzog von Hessen und bei Rhein nahm seine Regierungsgeschäfte sehr genau und habe es dennoch vermocht, sich künstlerisch vielseitig zu betätigen. So gehen die berühmte Mathildenhöhe und die Künstlerkolonie in Darmstadt auf seine Initiative zurück. Er hob das Hoftheater auf ein hohes Niveau (er veranstaltete Dirigentenfestspiele mit bedeutenden Uraufführungen) und war selbst als Bühnenbildner und Regisseur aktiv. Sein Hauptinteresse lag auf einem ständigen Austausch mit den verschiedensten Künstlern. Die Kompositionen des Großherzogs wurden gedruckt – zum Teil unter Pseudonym.

Wie viele Söhne aus herrschaftlichem Haus genoss Wilhelm II. eine vielfältige, aber nicht sehr in die Tiefe gehende Ausbildung. Durchaus mit künstlerischen Talent gesegnet, urteilte Ziegler, betätigte er sich als Zeichner, Architekt und Komponist. Dabei ließ er das Herrschen nicht außen vor und übertrug seine Rolle als Regierungsoberhaupt auch auf das Gebiet der Kunst. Bei einem Sängerfest in Frankfurt am Main gebärdete er sich tonangebend und besserwisserisch.

1894 entstand der „Sang an Aegir“, anlässlich des Baus der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin. Der Eigenanteil des Kaisers ist bis heute nicht geklärt, dennoch galt es in Dichtung und Komposition als seine Arbeit und wurde entsprechend häufig aufgeführt. Hin und wieder soll der Kaiser dabei selbst zum Taktstock gegriffen haben. Das Volk, so Ziegler, machte sich darüber lustig: „Aegieren ist besser als regieren“. Es wurde berichtet, dass der Komponist Johannes Brahms im Lokal des Öfteren einen „Sang an Aegir“, sprich Kaiserschmarrn, bestellt haben soll. Vom Pathos des Stückes mit seinen Anklängen an preußisch-patriotisches Liedgut konnten sich die Zuhörer:innen in der Schlosskirche überzeugen.

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Über Alexander Friedrich Landgraf von Hessen - einen Komponisten zwischen Romantik und Moderne - hat Ziegler eine Monographie geschrieben (Merseburger Berlin Verlag).

© Staatliche Schlösser und Gärten Hessen, Foto: Britta Reimann

Nach Auffassung Zieglers war Alexander Friedrich Landgraf von Hessen wohl der professionellste Komponist der drei Regenten. Aufgrund einer lebenslangen fast vollständigen Blindheit konzentrierte er sich stark auf die Musik und wurde dabei von klein auf gefördert. Bereits mit 25 Jahren übernahm er die Regierung von Hessen-Kassel, widmete sich parallel aber immer der Musik.

Alexander Friedrich studierte Orgel, Geige und Komposition bei großen Musikern wie Clara und Robert Schumann, Engelbert Humperdinck oder Brahms. Er komponierte bis in die letzten Lebensjahre und noch immer werden seine Stücke aufgeführt. Trotz der Ähnlichkeiten mit den Werken bekannter Musiker seiner Zeit handelt es sich um sehr eigenständige und anspruchsvolle Musik des Landgrafen, so Ziegler. Den Abschluss des musikalischen Vortrages bildeten zwei Klavierstücke, die Joksch-Weinandy spielte.

(Autorin: Britta Reimann)