Vortrag im Schloss Bad Homburg eröffnet neue Perspektive auf Preußen nach der Reichsgründung 1871

Am 26. September 2021 setzte sich die Veranstaltungsreihe „150 Jahre Kaiserreichsgründung“ der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen im Schloss Bad Homburg fort. Prof. Dr. Ulrike Höroldt, Direktorin des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz in Berlin, und Dr. Frank Althoff, präsentierten historische Quellen zum Selbstverständnis der Preußischen Könige und Deutschen Kaiser in ihrer Doppelrolle nach der Gründung des Deutschen Reichs 1871 und dem damit einhergehenden Ringen um Identität.

Zu diesem Thema hat Althoff die Ausstellung „Ik denke der Affe laust mir. Preußen nach der Reichsgründung 1871“ kuratiert, die derzeit im Geheimen Staatsarchiv besichtigt werden kann. Der ungewöhnliche Titel der Ausstellung geht zurück auf einen berlinerischen Ausruf des Erstaunens, den Kaiser Wilhelm II. (1859-1941) zu tätigen pflegte, sofern Zweifel an der Legitimität der Hohenzollern-Dynastie geäußert wurden.

Handschriftliche Kommentare von Kaiser Wilhelm II. zu einem kritischen Artikel in der Presse

Handschriftliche Kommentare von Wilhelm II. zu einem kritischen Presseartikel

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz

Kommentar von Wilhelm II. "Ik denke der Affe laust mir"

Empörter Kommentar von Wilhelm II. "Ik denke der Affe laust mir!"

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz

Mit dieser Ausstellung wolle man laut Höroldt eine neue Perspektive auf die Zeit nach der Reichsgründung einnehmen. Die häufiger untersuchte Fragestellung, ob und inwiefern Deutschland mit der Gründung des Deutschen Kaiserreiches ‚verpreußt‘ worden sei, solle in Frage gestellt werden. Es sei ebenso wichtig zu hinterfragen, welche Konsequenzen die Reichsgründung für Preußen und seine Monarchen hatte. Diesem Aspekt gehe die Ausstellung nach, wobei ein ambivalenter Umgang der Preußischen Könige mit der ihnen zugefallenen Kaiserwürde sichtbar werde, erläuterte Althoff in seinem Vortrag.

Ringen um den Titel

Althoff beschrieb die inneren Skrupel von Wilhelm I. (1797-1888) mit der Kaiserwürde. Er habe sich in erster Linie als Preuße und nur in zweiter Instanz als Deutscher verstanden, sogar eine Herabwürdigung des Preußischen Königtums gefürchtet. Bei der Kaiserproklamation in Versailles am 18. Januar 1871 wäre ihm trotz dieser Einwände der Titel ‚Kaiser von Deutschland‘ lieber gewesen als die allgemeinere Formulierung ‚Deutscher Kaiser‘. Aus Rücksicht auf Widerstände vor allem der süddeutschen Staaten wurde damals auf das Ausrufen eines konkreten Titels verzichtet. Anhand von persönlichen Briefen machte Althoff deutlich, wie sehr Wilhelm I. zeitlebens mit seiner Doppelrolle als Preußischer König und Deutscher Kaiser haderte.

Einzug Kaiser Wilhelm I. in Berlin

Der Einzug von Wilhelm I. in Berlin nach seiner Proklamation zum Deutschen Kaiser 1871

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz

Rückgriffe auf mittelalterliches Kaisertum

Für viele Deutsche ging mit der Reichsgründung „ein jahrhundertelanger Wunsch in Erfüllung“, so Althoff. Ein enormer wirtschaftlicher Aufschwung sei damit einhergegangen, aber auch die Sorge mancher vor preußischer Übermacht. Der sensible Umgang Wilhelms I. mit seiner Doppelrolle habe ihn jedoch beim Volk äußerst beliebt gemacht. Sein Sohn Friedrich III. (1831-1888) hingegen bemühte sich laut Althoff bereits als Kronprinz darum, eine historische Legitimation der Reichsdynastie zu betonen. „Er empfand sich als Erbe der Krone Karls des Großen“, so Althoff.

Kronprinz Friedrich habe versucht, eine Linie von Karl dem Großen zu seinem Vater Kaiser Wilhelm I. zu konstruieren und ihn in dessen Herrschertradition zu stellen. Mit dieser Propaganda habe er die Dynastie der Hohenzollern als Reichsdynastie legitimieren und diese gegenüber den anderen deutschen Königen und Fürsten abgrenzen wollen. Althoff zitierte aus Friedrichs Tagebuch des Deutsch-Französischen Krieges, dass dieser sich anders als sein Vater „nur noch als Deutscher“ und nicht mehr als Preuße verstand.

In seiner nur 99 Tage andauernden Regentschaft habe er laut Althoff kaum Gelegenheit gehabt, solche Vorstellungen umzusetzen und eigene Akzente in seiner Doppelrolle als Preußischer König und Deutscher Kaiser zu setzen. Dieses gesamtdeutsche Denken prägte jedoch seinen Sohn Wilhelm II. entscheidend. Auch er stellte das neue Reich in eine angebliche alte Reichstradition und ließ, wie eingangs erwähnt, keine Zweifel am Herrschaftsanspruch der Hohenzollern zu. Die ‚Mythologisierung‘ seiner Familiengeschichte ging laut Althoff so weit, dass er seinem Großvater Wilhelm I., den er sehr verehrte, die ‚Einheit des Deutschen Vaterlandes‘ zuschrieb und ihm zahlreiche Denkmäler errichten ließ. Dies zielte unter anderem darauf ab, der aufkommenden Verehrung von Reichskanzler Otto von Bismarck (1815-1898) einen Gegenmythos entgegen zu setzen.

Denkmal Kaiser Wilhelm I. vor dem Berliner Stadtschloss

Das von Kaiser Wilhelm II. für seinen Großvater Wilhelm I. errichtete monumentale Denkmal vor dem Berliner Stadschloss

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz

Auch in den Bauvorhaben Wilhelms II. wird ein historisch konstruierter Herrschaftsanspruch deutlich, wie Althoff darstellte. Er verwies dabei beispielshaft auf die Erlöserkirche in Bad Homburg, die architektonisch und auch ideell an das römische Kaisertum anknüpfen sollte. Hier sei folglich ein anderer Mythos etabliert worden, der die Hohenzollern-Dynastie in die Tradition der römischen Kaiser stellt und gleichsam darauf abzielte, den Herrschaftsanspruch zu sichern.

Verschiebung der Prioritäten

So arbeitete Althoff anhand der Quellen des Geheimen Staatsarchivs die unterschiedlichen Prioritäten der Deutschen Kaiser heraus: Während Wilhelm I. sich nur schwer mit dem Titel Deutscher Kaiser identifizieren konnte, stand für seine Nachfolger die preußische Identität hinter der deutschen zurück und wurde teilweise sogar ganz außer Acht gelassen. Angeregt durch seinen Vater Friedrich III. bemühte sich Wilhelm II. um die Etablierung eines gesamtdeutschen Denkens mit der Hohenzollern-Dynastie als legitimierter Reichsdynastie. Althoff resümierte: „Für Wilhelm II. stellte es kein Problem dar, dass Preußen gegenüber dem Reich an Bedeutung verlor.“