Ein neues Bild von Auguste Victoria

Näher als je zuvor rückt man mit den intensiven Quellenrecherchen des Autoren Jörg Kirschstein an das Leben und den Charakter der letzten deutschen Kaiserin Auguste Victoria (1858-1921) heran. Am Dienstagabend, den 17. August 2021, stellte der Leiter des Schlosses Babelsberg in Potsdam und ausgezeichnete Kenner der kaiserlichen Familie seine in diesem Jahr erschienene umfassende Biographie über sie vor.

Kirschstein hatte das Buch zum 100. Todestag (11. April) von Auguste Viktoria von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg vorgelegt, die 1881 den Kronprinzen und zukünftigen Kaiser Wilhelm II. heiratete. Das Publikum im vollbesetzten Weißen Saal des Bad Homburger Schlosses erfuhr nicht nur von ihrer engen Beziehung inklusive süßlicher Liebesdetails, sondern auch von den Stärken und Schwächen Auguste Viktorias. An der Seite eines umstrittenen Herrschers erlebte sie den Glanz und den Untergang der deutschen Monarchie.

Kirsten Worms, die Direktorin der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen (SG), würdigte die enge Zusammenarbeit der hessischen Schlösserverwaltung mit der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG), für die Kirschstein seit 1999 tätig ist und zahlreiche Ausstellungen und Publikationen realisierte. Dabei nahm er immer wieder die kaiserliche Familie in den Fokus.

Buchautor Jörg Kirschstein mit der Direktorin der Schlösserverwaltung

Buchautor Jörg Kirschstein mit der Direktorin der Schlösserverwaltung.

© SG, Foto: Lena Liebau

Die bisherigen dürftigen Informationen über die Kaiserin seien unter anderem einer diffusen Quellenlage geschuldet, die ihm die Arbeit an „Auguste Victoria. Portrait einer Kaiserin“ erschwerte, berichtete Kirschstein. Auch hätten Wilhelm II. und Auguste Viktoria Teile ihrer Korrespondenz vernichtet. Der Hauptnachlass sei verbrannt. Doch es gelang ihm, in verschiedenen Archiven private Briefe aus den Jahren 1880-1892 sowie bisher unveröffentlichte Fotografien der Kaiserin zu sichten und ein neues, vielschichtiges Bild ihrer Persönlichkeit zu entwickeln.

Hatte man Auguste Victoria bisher für steif und moralisierend gehalten, zeigten sich in den Briefen an ihren Gemahl liebevolle, belustigende Anreden („Oh, du mein süßes Mannerl“) und teilweise sogar anzügliche Facetten der Kaiserin. Kirschstein beschrieb ein anfänglich inniges Verhältnis des Paares, dessen Lebensmittelpunkt und das ihrer sieben Kinder das Neue Palais in Potsdam bildete. Zu tage- bis wochenlangen Aufenthalten kamen sie ins Schloss Bad Homburg. Dort entstanden zahlreiche Fotografien der Kaiserin und ihrer Familie.

Kirschstein beleuchtete erstmals auch schwierige Etappen ihres Lebens ausführlich, etwa das komplizierte Verhältnis zu ihrer „verzogenen“ Tochter Victoria Louise, den Klatsch der Medien oder die direkte Konfrontation mit den Leiden des Ersten Weltkrieges. Auguste Victoria besuchte viele Lazarette und Soldatenheime, trat in Kontakt mit Verwundeten und erfuhr dabei nicht immer nur Dank für den gespendeten Trost.

Historische Postkarte: das Kaiserpaar

Historische Postkarte mit dem Kaiserpaar.

© Jörg Kirschstein

Für den Kaiser war Auguste Victoria vor allem in Kriegszeiten „eine wichtige Stütze“, so Kirschstein. Er lud sie sogar, sehr zum Ärger der Militärs, häufiger in das Hauptquartier ins belgische Spa ein. Nach Wilhelms Abdankung 1918 lebte das Kaiserpaar im Exil. Auguste Victoria erlitt zwei Schlaganfälle und starb im holländischen Doorn.

Ihre Bestattung im Antikentempel des Neuen Palais in Potsdam, wie Auguste Victoria es sich gewünscht hatte, fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dennoch ließen es sich über 200.000 Menschen an diesem Tag nicht nehmen, das Grab der sozial engagierten, letzten deutschen Kaiserin nach der privaten Zeremonie zu besuchen. Dies verdeutliche ihre Popularität beim Volk, für das sie zahlreiche Kirchen errichtet und wohltätige sowie religiöse Projekte gefördert hatte.

Kirschstein ist überzeugt, dass Auguste Victoria durch den Abgang der Monarchie „in Ungnade“ als historische Figur in Vergessenheit geriet. Er beobachte jedoch, dass das Interesse in der Forschung sowie der Populärkultur an ihrer Person wieder zunehme. So erschien zum Todestag unter anderem auch der ZDF-Arte-Film „Auguste Victoria - Deutschlands letzte Kaiserin“ unter der Regie von Annette von der Heyde, an dem Kirschstein maßgeblich mitwirkte. Drehort war auch das Bad Homburger Schloss, die ehemalige preußische und kaiserliche Sommerresidenz. Vom ersten Septemberwochenende an sind dort wieder die Gesellschaftssäle und die privaten Wohnräume des Kaiserpaares zu besuchen.

Ab dem 2. September 2021 sind die Kaiserlichen Appartments wieder für das Publikum geöffnet

Nach zehn Jahren der Schließung sind sie wieder zugänglich: Die Kaiserlichen Appartements im Bad Homburger Schloss können vom 2. September 2021 an wieder besucht werden.

© SG, Collage: bb l Bettina Burkardt