Machtan will mit Studie über den früheren Kronprinzen Wilhelm und dessen Nähe zu den Nationalsozialisten einem Urteil der Justiz im Hohenzollernstreit nicht vorgreifen

Der Bremer Historiker und emeritierte Professor, Lothar Machtan, will mit seiner neuen Biographie über die Nähe des ehemaligen Kronprinzen Wilhelm von Preußen (1882-1951) zu den Nationalsozialisten nicht „präjuduzieren“. Dies überschreite seinen Kompetenzbereich als Fachwissenschaftler. In dem seit Jahren geführten sogenannten Hohenzollernstreit müssten letztendlich Gerichte entscheiden, sagte er bei einem öffentlichen Gespräch mit Jürgen Kaube, Autor und Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, am Mittwoch (25.8.2021) in der Bad Homburger Schlosskirche. Sein Buch „Der Kronprinz und die Nazis. Hohenzollerns blinder Fleck“ (Duncker & Humblot) als verdichtete Erzählung der zur Verfügung stehenden verstreuten Quellen liefere jedoch das Material dazu.

Machtans Veröffentlichung ist ein weiterer Beitrag in der unter Historiker:innen und Journalist:innen ausgetragenen Auseinandersetzung zur Berechtigung von Ansprüchen, die die Hohenzollern-Familie in Folge von Enteignungen durch die sowjetische Besatzungsmacht nach 1945 erhebt. Entschädigungen stehen ihr nach dem Ausgleichsleistungsgesetz von 1994 nur zu, wenn der Kronprinz und andere Familienmitglieder bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten keinen „erheblichen Vorschub“ im juristischen Sinne leisteten. Die Bundesregierung, die Länder Berlin und Brandenburg sowie drei Stiftungen des Bundes führen Verhandlungen über öffentliche Kulturgüter aus ehemaligem Hohenzollern-Besitz.

Die neue Studie, für die Machtan einige neue Quellen unter anderem des Familienarchivs auf der Burg Hohenzollern in Hechingen auswertete, traf bereits auf Kritik bei Teilen der Medien. Man hält ihm vor, vom Haus Preußen eine Bezahlung für das Buch erhalten und keine bedeutenden weiteren Erkenntnisse geliefert zu haben. Ein weiterer Vorwurf lautet, Machtan stelle den Ex-Kronprinzen mit seiner politischen Anbiederung an Adolf Hitler und andere Nationalsozialisten bei ihrem Aufstieg zur Macht mangels intellektueller und politischer Fähigkeiten als ‚lächerliche Figur“ oder „peinlich“ dar, um seine Bedeutung abzutun. Die Direktorin der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen, Kirsten Worms, fasste diese Stimmen zusammen: Es gebe nicht das angekündigte sensationelle Quellenmaterial und Machtans Unabhängigkeit als Wissenschaftler werde hinterfragt.

Cover der Neuerscheinung im Berliner Verlag Duncker & Humblot

Cover der Neuerscheinung Lothar Machtans.

© Duncker & Humblot

Der Historiker stellt die Rolle Wilhelms von Preußen am Ende der Weimarer Republik, bei der Machtübertragung an Hitler im Januar des Jahres 1933 auf den Prüfstand, sowie seine Bemühungen in der Frühphase der Stabilisierung der NS-Herrschaft, als sich der einstige Kronprinz sogar in den Dienst der Gleichschaltungspolitik stellte. Es fehlt bei Machtan nicht an deutlichen Worten zu seinen Schwächen. Kaube sagte, unterstützt von Meinungen aus dem Publikum zu moralischer Verantwortung, dass einiges des im Buch Geschilderten Wilhelms Nützlichkeit belege und einen „erheblichen Vorschub begründen“ würde. Auch bei anderen Teilen der Familie, der Stiefmutter Hermine und seinen Brüdern, insbesondere bei August Wilhelm, „kommt einiges an Sympathie für die Nazis zusammen“.

Machtan entgegnete: „Mir fällt es schwer, seine Wirkung präzise zu vermessen, unter dem Gesichtspunkt, wie nötig war sein Engagement für den Erfolg Hitlers“. Hätten die Nazis den Weg zu den Schalthebeln an die Macht nicht ohne ihn geschafft? In das „politische Profil“ des Ex-Kronprinzen gehöre die „Lebenslüge“, lange auf eine Restauration der Monarchie mit Hilfe rechtsnationaler Kreise und dann der NSDAP zu hoffen. Er habe sich vor allem durch Feigheit ausgezeichnet. Er habe gekniffen, „wenn es mal darauf ankam, etwas zu riskieren“. Zudem sei er (finanziell) abhängig gewesen von seinem abgedankten, im niederländischen Doorn lebenden Vater, dem früheren Kaiser Wilhelm II., und akzeptierte dessen Verbote.

Er habe sich hohe Ämter wie dasjenige des greisen Reichspräsidenten nach Paul von Hindenburg nicht zugetraut und seine politischen Einfluss-Möglichkeiten völlig verkannt. Spätestens mit dem Röhm-Putsch Ende Juni / Anfang Juli 1934 sei der vormalige Kronprinz „abserviert“ gewesen – als Nationalsozialisten Führungskräfte der SA einschließlich des Stabschefs Ernst Röhm ermorden ließen, auch andere Personen wie Hitlers Amtsvorgänger als Reichskanzler, Kurt Schleicher, der ein Freund Wilhelms von Preußen war. Insgesamt sei das Verhalten Wilhelms in hohem Maße verwerflich gewesen, so Machtan. „Mit dem Kotau vor Hitler haben sich die Hohenzollern auch nach 1934 unsterblich blamiert.“

Machtan räumte ein, dass bei den Recherchen für die „Mini-Biographie“ die Archivalien-Ausbeute „nicht ganz so groß war, wie ich mir das gewünscht hätte“. Er sei gespannt, wie die Justiz die Sachverhalte bewerten würde. Auf die Frage Kaubes, ob sich die Familie von Preußen mit ihren Restitutionsansprüchen einen Gefallen tue – „Ist das nicht eine Wiederholung des dynastischen Egoismus?“ – antwortete er, sie seien für „das Image verheerend“. Allerdings könne Prinz Georg Friedrich von Preußen sie als Familienoberhaupt aus dem Vermögensausgleichsgesetz von 1926 zwischen dem Staat Preußen und dem Haus Hohenzollern herleiten. Dessen rechtliche Unklarheiten und veränderte Rechtspositionen bereiteten noch heute Probleme.