Man halte sich vor Augen, wie die britische Königstochter die Nase rümpfte. Denn 1818, als Elizabeth (1770-1840) in der kleinen Landgrafschaft Hessen-Homburg angekommen war, fand sie in ihrem neuen Zuhause keine sanitären Anlagen vor. Buchstäblich eine anrüchige Sache! Ihr Mann, damals noch Erbprinz und ab 1820 Landgraf Friedrich VI. Joseph (1769-1829), ließ diese Rückständigkeit im Homburger Schloss schnell aufheben. Noch im selben Jahr zog in die Residenz jene Moderne ein, die seine Gemahlin aus London gewohnt war: ein Wasser-Closett.
Zu Anfang des 19. Jahrhunderts nahm sich diese Toilette in einem deutschen fürstlichen Hause tatsächlich noch als ungewöhnlicher Luxus aus. Sie wurde neben dem Speisesaal des Paares eingerichtet, zwischen ihren beiden im Norden und Westen gelegenen Appartements, und bestand, solange der Landgraf lebte. Nach seinem Tod ließ Elizabeth seine bisherigen Wohnräume durch den Darmstädter Hofbaumeister Georg Moller zu ihrer Witwenwohnung umbauen. Das ‚WC‘ wurde dann in einen Nebenraum ihres Schlafzimmers verlegt.
Eine Rechnung von 1829 belegt den Einbau des „Englischen Wasseraborts“ hinter einer Tapetentür. Es wurde notiert: „Den Abtritt mit einer halbrunden Zarg von Eichenholz, Kirschbaum vorniert, den Sitz von Kirschbaum und Brill Mahagoni gebeizt und polirt.“ Auch von einer „Gestankklappe“ ist die Rede. Aus dem Jahr 1840 ist zudem eine Konstruktionsskizze von Mollers ausführendem Architekten Jakob Westerfeld überliefert. Sie demonstriert den Fluss des Regenwassers vom Dach über eine Regenrinne in eine Zisterne. Ein Stockwerk tiefer liegt der „Apparat“, verbunden mit einem Abflussrohr.
Diese Mechanik war original englische Art. Ein Landsmann der Landgräfin gilt als Erfinder des Wasser-Closetts. Am Ende des 16. Jahrhunderts entwarf Sir John Harington (getauft 1560-1612), ein gelehrter Höfling am Elizabethanischen Hof und Patenkind der Königin, das System einer Toilette mit Spülung. Seiner satirischen, deswegen unter Pseudonym herausgegebenen Schrift „A New Discourse of a Stale Subject, called The Metamorphosis of Ajax“ von 1596 hatte er eine Illustration für einen „flushing privy“ (spülender Abtritt) beigegeben.
In der Folge ließ er einige Exemplare dieses revolutionären Wasser-Closetts in seinem Haus Kelston Manor und in anderen Adelsresidenzen einbauen. Selbst Elizabeth I. (1533-1603) verfügte über ein solches stilles Örtchen in Richmond Palace vor London, das offenbar gut funktionierte. Einen Nachbau von Haringtons primitiver Einrichtung mit Zisterne, Stuhlsitz, Auffangbecken und anschließender, mit Schraube zu öffnender Abflussrinne, bewahrt das Gladstone Pottery Museum in der mittelenglischen Stadt Longton. Der Clou an der Installation: Das Becken war immer mit etwas Wasser gefüllt, um aufsteigende Gerüche zu unterbinden.
Wie andere Zeitgenossen glaubte Harington fest daran, dass übler Dunst, insbesondere Latrinen-Gestank, Krankheiten verursachte. „Yet sure infection commeth most by smelling“ (Doch sicher kommt Infektion vor allem vom Riechen) textete er in Übersetzung eines mittelalterlichen Traktats. Zu seiner Zeit behauptete eine Theorie, dass sich Krankheitserreger, die Miasmen, in schlecht riechender Luft befinden und über die Atemwege oder über die Haut für Ansteckung und damit für die Ausbreitung von Seuchen sorgten. Heute wissen wir es besser: Die „Miasmentheorie“ erwies sich als Irrweg der Medizin.
So revolutionär Haringtons Erfindung war, sie wurde ignoriert. Der Gentleman, der sich damit auch als Vorreiter in Sachen urbaner Hygiene positionierte, blieb ein ungehörter Mahner im Jauche- und Kloakenwesen. In London stank es weiter aus Nachttöpfen, Plumpsklos, Sickergruben und verunreinigten Straßengassen. Zwar wurden erste Patente auf ähnliche Wasser-Toiletten von Alexander Cummings 1775, Samuel Prosser 1777 und Joseph Bramah 1778 angemeldet. Doch gab es keine geregelte Kanalisation. Landgräfin Elizabeth war schon gestorben, als wiederholt Cholera-Epidemien durch verseuchtes Grundwasser tausende Todesopfer in ihrer Heimat forderten. Dann erst wurde man aus Schaden klug und begann in London den Bau eines Abwassersystems.