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Lahme konnten wieder gehen, Blinde wieder sehen

Einhard schreibt das Leben Karls des Großen auf.
Einhard schreibt das Leben Karls des Großen auf. Darstellung in einer Handschrift der Grandes chroniques de France, Ms. français 22913 fol. 85r, Bibliothèque nationale de France

Zwei Mal brachen die fränkischen Touristen in eine Basilika am dritten Meilenstein an der Via Labicana in Rom ein. Eine Nacht-und-Nebel-Aktion. Im November 827 holten der Notar und Sekretär Ratleik und ein paar Knechte aus den unter dem Kirchengebäude liegenden Katakomben die Überreste von Marcellinus heraus. Später auch noch die Gebeine von Petrus. Der eine ein Täufer, der andere ein Exorzist, gemartert und gemeinsam enthauptet unter dem Christenverfolger Kaiser Diokletian (zwischen 236 und 245–um 312). Schon über 500 Jahre lagen die als Heilige hochverehrten Männer in ihrem Doppelgrab, bis ein Bedeutender des riesigen Frankenreiches im Norden den Diebstahl ihrer Reliquien arrangierte: Einhard, der für seine Biographie Karls des Großen berühmt ist, und auch die „Translatio“ (Überführung) der Heiligen in Latein aufschrieb: Sie trägt Züge eines spannenden Romans.  

Zum Vorgang um Marcellinus: „Wie es sich geziemte, nahmen sie den Leib mit der höchsten Ehrfurcht, wickelten ihn ein reines Tuch ….“ Der Stein auf dem Grab wurde zwecks Spurenverwischung zurückgelegt, doch später plagten Bedenken die Räuber, ob Petrus denn alleine verbleiben könne. So wurde auch er weggenommen. Damals war solche Entwendung der Knochen verehrter Toter moralisch anstößig. Es sei denn, die toten Entführten hätten es selbst gewollt und mit übernatürlichen Zeichen mitgeteilt. Doch wer einen neuen Altar in seiner Kirche weihen wollte, kam im 8. und 9. Jahrhundert um die Bestattung von Reliquien an dessen Fuß nicht herum: Noch im Skelett war ein gottgeschützter Heiliger virtuell anwesend, so glaubte man, und verstärkte mit seiner Präsenz die Zueignung himmlischen Heils an die Kirche.   

 

Einhards Kirche bietet einen Eindruck von karolingischer Architektur. In Deutschland existieren Bauten mit Resten dieser Zeit nur noch in Lorsch, Aachen und Corvey bzw. Höxter. Foto: Bettina Rothenheber.
Einhards Kirche in Michelstadt-Steinbach bietet einen Eindruck von karolingischer Architektur. In Deutschland existieren Bauten mit Resten dieser Zeit nur noch in Lorsch, Aachen und Corvey bzw. Höxter. Foto: Bettina Rothenheber

Einhard war ein gebildeter, kunstsinniger, geschäftiger und lebhafter Mensch von geringer Körpergröße, den der Tübinger Historiker Dr. Steffen Patzold einen „großen kleinen Mann“ nannte. Der Gelehrte diente nicht nur dem fränkischen Herrscher und späteren Kaiser Karl dem Großen (747 oder 748–814) als Geschichtsschreiber und Baumeister, sondern auch dessen Sohn Ludwig dem Frommen (778–840). Schenkungen brachten ihm unter anderem 815 die Stadt Obermulinheim (das heutige Seligenstadt) und die Mark Michlinstat / Michelstadt ein. Wo früher nur einige Gehöfte umgeben von dichtem Laubwald standen, errichtete er sich eine Kirche in Form einer Basilika, die ihm und seiner Frau Imma wahrscheinlich als Grabstätte dienen sollte. Es war schon die Zeit, als Einhard begann sich aus der Politik zurückzuziehen und sich nach 830 ganz einem Klosterleben zuwendete.

Tübinger Historiker legten 2015 eine neue kommentierte Übersetzung von Einhards Translatio vor.
Tübinger Historiker legten 2015 eine neue kommentierte Übersetzung von Einhards Translatio vor. Sie ist Band 2 der Acta Einhardi, hrsg. von der Seligenstädter Einhard-Gesellschaft.

 

Marcellinus und Petrus waren ein großer Fang. Sogenannte Primär-Reliquien (die Leiber selbst) und Sekundär-Reliquien (was mit ihnen in Kontakt kam) waren im frühmittelalterlichen Verständnis von ‚virtus‘ erfüllt, das heißt: aufgeladen mit der besonderen, vom Heiligen verdienten Gotteskraft. Gebeine und andere Körperreste wie Haut, Haare, Nägel funktionierten als Medium zwischen Himmel und Erde. Den Erweis dafür lieferten angebliche Wunder und mirakulöse Heilungen über den Tod hinaus. Daran glaubten die Menschen und pilgerten mit ihren Sorgen und Gebrechen zu den letzten Ruhestätten von Heiligen. Reliquien halfen wie sonst nichts in menschlicher Not, sie bewahrten vor Schicksalsschlägen, wendeten Unglück ab, schalteten sich in Streitigkeiten ein. Der von Berichten über viel Unerklärliches genährte Kult um Reliquien war Ausdruck gelebter Frömmigkeit. Reliquien stellten so etwas wie einen direkten Draht zu Gott her.

Wunder ereigneten sich auch um Marcellinus und Petrus. Angefangen damit, dass es nach einigem Hin und Her die Reliquientranslation doch ein gutes Ende nahm: Ein im Karolingerreich bekannter Groß-Dealer für solche wertvollen Schätze, der windige römische Diakon Deusdona, hatte die Reise von Einhards Agenten Ratleik zwar nach Rom begleitet, war aber abtrünnig geworden. Zwischenzeitig wurden Teile der erhobenen Knochen von Marcellinus gestohlen, gelangten zu einer Abtei nach Soissons, dann nach Aachen und Einhard musste 100 Goldmünzen zahlen, um sie wieder in seinen Besitz zu bringen. Auf der mäandernden Reise ereigneten sich Wunder, so berichtete er in seiner „Translatio et miracula Marcellini et Petri“.

Endlich im Januar 828 in Michelstadt angekommen, ließen die Heiligen wissen, dass sie sich dort nicht wohlfühlten. Bewacher ihres Steinsarges, der in der großen Apsis der neuen Basilika aufgestellt worden war, hatten schlechte Träume. Der Sarg sah aus, als würde Blut an ihm herunterrinnen. Einhard verlegte sie nach Muhlingheim, wo er eine noch prächtigere Kirche für sie errichtete. Unterwegs geschahen weitere Wunder: Lahme konnten wieder gehen, Blinde wieder sehen. Die Überreste waren für Einhard von unschätzbarem Wert. Verehrung erfahren sie noch heute: Als im vergangenen Jahr Splitter vom Knochenmaterial der Märtyrer aus dem Seligenstädter Schrein an die römische Pfarrei Santi Marcellino e Pietro in einer Monstranz überführt wurden, genau 1191 Jahre nach ihrer Ankunft im Odenwald, hatte der italienische Padre Rogerio Diesel Tränen in den Augen.

Das hohe weite Mittelschiff der Einhardsbasilika mit dem Hauptchor. Foto: Bettina Rothenheber
Unter dem Mittelschiff und den Nebenchören liegt eine Krypta. Zwei überwölbte Nischen dort ähneln römischen Katakombengräbern. Foto: Bettina Rothenheber
 

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